Die Pflege eines geliebten Menschen ist eine herausfordernde Aufgabe. Sie erfordert Zeit, Energie und emotionale Stärke. Viele Angehörige stehen täglich vor der schwierigen Balance zwischen Familie, Beruf und der Verantwortung für eine pflegebedürftige Person. Genau hier setzt ein innovatives Konzept an: die stambulante Pflege.
Inhaltsverzeichnis: Das erwartet Sie in diesem Artikel
Herausforderungen in der häuslichen Pflege
Wenn ein Familienmitglied pflegebedürftig wird, verändert sich der Alltag der Angehörigen schlagartig. Von den 5,7 Millionen Menschen, die im Jahr 2023 pflegebedürftig waren, wurden 86 Prozent von Angehörigen gepflegt, teilweise mit Hilfe ambulanter Pflegedienste.
Plötzlich stehen Medikamentengaben, Körperpflege, Mobilisation und medizinische Versorgung im Mittelpunkt. Die Pflege ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch eine große emotionale Belastung, die oft über Jahre hinweg anhält. Viele versuchen, die Pflege mit Beruf und Familie zu vereinbaren, doch die ständige Verantwortung kann zur Überlastung führen.
Fehlende Fachkenntnisse und die Angst, Fehler zu machen, erzeugen zusätzlichen Stress. Zudem geraten soziale Kontakte und Hobbys in den Hintergrund, was langfristig zu Isolation und Erschöpfung führt. Ambulante Pflegedienste bieten zwar Unterstützung, reichen aber oft nicht aus. Bisher blieb vielen nur der Umzug in ein Heim. Die stambulante Pflege schafft hier eine Lösung: Tagsüber professionelle Betreuung, abends vertraute Umgebung. So entsteht eine flexible Pflegeform, die sowohl Angehörige entlastet als auch die Selbstständigkeit Pflegebedürftiger erhält.
Stambulante Pflege: Was bedeutet das?
Die stambulante Pflege bietet neben der häuslichen Pflege und dem Umzug in eine Pflegeeinrichtung einen dritten Weg, der die Vorteile beider Modelle kombiniert und eine flexible Lösung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen schafft.
Das Wort „stambulant“ setzt sich aus den Begriffen „stationär“ und „ambulant“ zusammen. Das Konzept ermöglicht es Pflegebedürftigen, tagsüber in einer Pflegeeinrichtung betreut zu werden und abends sowie nachts zu Hause zu bleiben.
Die Tagesbetreuung erfolgt in spezialisierten Einrichtungen, die auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen zugeschnitten sind. Dort übernehmen Fachkräfte medizinische Versorgung, therapeutische Maßnahmen und soziale Aktivitäten.
Anschließend kehren die Pflegebedürftigen in ihre vertraute Umgebung zurück, wo sie entweder selbstständig oder mit Unterstützung von Angehörigen und ambulanten Diensten den Abend und die Nacht verbringen.

Die Betreuungszeit wird zwischen der Pflegeeinrichtung und Angehörigen aufgeteilt (Foto: AdobeStock – 272282775 amazing studio)
Das Konzept ähnelt der Tagespflege, geht aber darüber hinaus, da es eine intensivere pflegerische Betreuung und teils medizinische Versorgung ermöglicht. Gleichzeitig ist es nicht so „endgültig“ wie ein Heimeinzug, da die Pflegebedürftigen weiterhin zu Hause leben. Zudem kann sich auch nicht jede pflegebedürftige Person finanziell einen Platz in einem Pflegeheim leisten.
Vorteile der stambulanten Pflege für Angehörige
Stambulante Pflege bringt nicht nur den Pflegebedürftigen selbst Vorteile, sondern erleichtert besonders den Alltag ihrer Angehörigen erheblich. Viele Familien stehen vor der schwierigen Entscheidung, ob eine vollständige stationäre Betreuung notwendig ist. Das ist oft verbunden mit einem schlechten Gewissen und der Angst, den geliebten Menschen „abzuschieben“. Die stambulante Pflege bietet eine Brücke zwischen Selbstständigkeit und professioneller Versorgung.
Fachliche Unterstützung
Nicht jeder Angehörige hat die nötige Erfahrung oder medizinische Ausbildung, um eine umfassende Pflege zu gewährleisten. Unsicherheiten, ob Medikamente richtig verabreicht oder Mobilisationsübungen korrekt durchgeführt werden, führen oft zu Stress und Selbstzweifeln.
Mit der stambulanten Pflege erhalten Pflegebedürftige tagsüber eine professionelle Betreuung, die unter anderem fachgerechte Medikamentengabe, therapeutische Maßnahmen wie Ergotherapie oder Physiotherapie sowie kognitive Förderung umfasst.
Sozialer Isolation entgegenwirken
Ein weiteres Problem der häuslichen Pflege ist die soziale Isolation. Viele pflegebedürftige Menschen verbringen die meiste Zeit zu Hause und haben kaum soziale Kontakte außerhalb der Familie. Stambulante Pflegeeinrichtungen setzen gezielt auf Programme zur sozialen Aktivierung, um dem entgegenzuwirken.
Dazu gehören Bewegungsangebote wie Gymnastik, Spaziergänge oder Tanztherapie, kognitive Förderung durch Gedächtnistraining und Gesprächsrunden sowie kreative Aktivitäten wie Malen, Musizieren oder Basteln.
Auch gemeinschaftliche Mahlzeiten und soziale Interaktionen helfen, das geistige und körperliche Wohlbefinden zu fördern.
Entlastung für alle
Pflegende Angehörige tragen eine enorme Verantwortung. Sie kümmern sich um Arztbesuche, die Medikamentengabe, alltägliche Aufgaben und sind zudem emotionale Stütze für ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder. Das alles neben Beruf, Familie und eigenen Verpflichtungen zu bewältigen, ist oft kaum machbar. Hier schafft die stambulante Pflege spürbare Entlastung: Tagsüber übernehmen Fachkräfte die Betreuung und medizinische Versorgung, sodass Angehörige arbeiten, Termine wahrnehmen oder einfach einmal durchatmen können.
Doch Pflege bedeutet nicht nur Herausforderungen für Angehörige. Pflegebedürftige fühlen sich oft als „Last“, während Angehörige zwischen Pflichtgefühl und Überforderung stehen. Dadurch, dass die Pflege tagsüber in Einrichtungen übernommen wird, wird das Gefühl, eine Belastung für die Angehörigen zu sein, gemildert.
Für wen ist die stambulante Pflege geeignet?
Die stambulante Pflege richtet sich an Menschen, die im Alltag auf Unterstützung angewiesen sind, aber weiterhin in ihrem Zuhause leben möchten.
Senioren mit Pflegegrad, die tagsüber Betreuung brauchen
Senioren mit Pflegegrad profitieren besonders von der stambulanten Pflege. Viele sind noch selbstständig, brauchen aber Unterstützung bei Körperpflege, Mahlzeiten oder Medikamenteneinnahme. Tagsüber erhalten sie fachgerechte Betreuung, ohne ins Heim ziehen zu müssen. Gleichzeitig bleiben sie durch die verschiedenen Angebote aktiv und sozial eingebunden. Besonders für alleinlebende oder berufstätige Angehörige ist dieses Modell eine wertvolle Hilfe.
Menschen mit Demenz, die Struktur benötigen
Menschen mit Demenz benötigen eine feste Tagesstruktur und gezielte Förderung, um ihre kognitiven Fähigkeiten möglichst lange zu erhalten. Unregelmäßige Betreuung oder soziale Isolation können den Krankheitsverlauf beschleunigen. Die stambulante Pflege bietet sichere Tagesabläufe, kognitive Förderung durch Erinnerungstraining oder Kunsttherapie und fördert soziale Interaktion. Geschulte Fachkräfte kümmern sich um ihre speziellen Bedürfnisse.
Personen nach Krankenhausaufenthalten, die noch Unterstützung brauchen
Nach einer schweren Erkrankung oder Operation sind viele Menschen noch nicht vollständig genesen und brauchen vorübergehend Unterstützung. Die stambulante Pflege hilft bei der Mobilisation nach Hüft- oder Knie-OPs, bietet Betreuung und Physiotherapie nach einem Schlaganfall und übernimmt medizinische Versorgung wie Wundpflege oder Infusionen.

Nach einer schweren Erkrankung oder Operation sind viele Menschen noch nicht vollständig genesen und brauchen vorübergehend Unterstützung. (Foto: AdobeStock – 31062708 Alexander Raths)
Auch implantierte Katheter zur Langzeitdrainage können von ambulanten und stationären Pflegekräften problemlos versorgt werden, wenn die Patienten dazu nicht selbst in der Lage sind.
Menschen mit körperlichen Einschränkungen, die mobilisiert werden sollen
Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen benötigen oft Unterstützung im Alltag, sei es beim Anziehen, Essen oder Bewegen. Die stambulante Pflege hilft durch regelmäßige Mobilisation, um Muskelabbau zu vermeiden, sowie gezielte Therapien wie Ergo- oder Physiotherapie. Zudem bietet sie Unterstützung bei Körperpflege und Ernährung, um die Selbstständigkeit zu erhalten. Besonders für jüngere Menschen bedeutet sie mehr Autonomie, ohne vollständig auf Angehörige oder Pflegeheime angewiesen zu sein.
Angehörige mit herausfordernden Arbeitszeiten
Pflegende Angehörige haben oft Schwierigkeiten, Beruf und Pflege zu vereinen, besonders bei Schichtarbeit oder anspruchsvollen Berufen. Die stambulante Pflege entlastet, indem sie eine regelmäßige Betreuung gewährleistet, unabhängig von unregelmäßigen Arbeitszeiten.
Pflegebedürftige erhalten eine verlässliche Tagesstruktur, ohne vollständig von Angehörigen abhängig zu sein. Dieses Modell ermöglicht es Berufstätigen, ihre Pflegeverantwortung wahrzunehmen, ohne sich zwischen Job und Familie aufzureiben.
Herausforderungen und mögliche Hürden
Die stambulante Pflege bietet viele Vorteile, doch sie bringt auch Herausforderungen mit sich. Ein großes Thema ist die Finanzierung, denn nicht jede Pflegekasse übernimmt alle Kosten, und je nach Bundesland gibt es Unterschiede. Oft bleibt ein Eigenanteil, weshalb es wichtig ist, sich frühzeitig über Zuschüsse und Pflegeleistungen zu informieren. Auch die Verfügbarkeit kann ein Problem sein: Während es in Städten oft Angebote gibt, sieht es in ländlichen Gegenden schwieriger aus. Zudem kann die Umstellung für Pflegebedürftige herausfordernd sein. Gerade Menschen mit Demenz brauchen Zeit, um sich an die neue Routine zu gewöhnen. Hier ist Geduld gefragt.
Eine flexible Lösung mit großem Potenzial
Die stambulante Pflege ist eine vielversprechende Alternative zur häuslichen oder stationären Pflege. Sie unterstützt Pflegebedürftige, sowie Angehörige, die Entlastung suchen. Trotz Herausforderungen wie Finanzierung und Verfügbarkeit zeigt das Modell großes Potenzial für eine nachhaltige, individuelle und familienfreundliche Pflege. Mit weiterem Ausbau und besserer Förderung könnte es zukünftig ein Standardmodell werden, das vielen Familien dringend benötigte Unterstützung bietet.