Der neue Tarif öffentlicher Dienst 2018 und seine Folgen für die Arbeitnehmer. Es winken Lohnerhöhungen für alle Entgeltgruppen. Werden Tätigkeiten im öffentlichen Sektor beliebter?
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Tarif öffentlicher Dienst: Lohnerhöhungen für alle Beschäftigten mit Fokus auf Niedriglohnsektor
Es gibt mehr Geld für etwa 2,5 Millionen Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst. Darauf einigten sich im April diesen Jahres der Bund, die kommunalen Arbeitgeberverbände und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Im Schnitt werden die Gehälter bis 2020 um 7,5 Prozent angehoben.
Die Einstiegsgehälter steigen in allen Entgeltgruppen laut zuständigem Innenministerium sogar um zehn Prozent. Personen mit niedrigem Einkommen erhalten zudem eine Sonderzahlung in Höhe von 250 Euro. Wichtiges Ziel aller Maßnahmen: Tarif und öffentlicher Dienst sollen für Arbeitsuchende aller Gehaltsklassen wieder attraktiver werden.
Tarif öffentlicher Dienst: Für wen gelten die Vereinbarungen? (Video)
Betroffen sind öffentliche Beschäftige beim Bund sowie in den Städten und Gemeinden. Die Bundesländer sowie einzelne Berufsgruppen (Pflege, Versorgungsdienste) haben eigene Tarifregelungen. Ähnliches gilt für Beamte. Allerdings hat Innenminister Seehofer angekündigt, die für den Tarif öffentlicher Dienst getroffenen Regelungen auf seine Beamten zu übertragen. Die neuen Tarife gelten rückwirkend ab 1. März 2018, weitere Erhöhungen sind zum 1. April 2019 sowie am 1. März 2020 vereinbart. Die gesamte Laufzeit beträgt insgesamt 30 Monate.
Video: FAQ: Was bedeutet der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst?
Tarif öffentlicher Dienst: Konsequenzen für alle Arbeitnehmer
Die neuen Tarife sind relevant für alle Arbeitnehmer. So haben Angestellte in der Privatwirtschaft eine gute Möglichkeit für den Gehaltsvergleich: Bekommt der öffentlich Beschäftigte mehr Geld für eine ähnliche Leistung? Und wenn ja, was zieht der Betroffene für Schlussfolgerungen. Gerade bei der in vielen Branchen aktuell guten Konjunktur sollten Mitarbeiter keine Scheu haben, ihren Chef nach einer Gehaltserhöhung zu fragen.
Spätestens, wenn nach Ablauf eines Jahres wieder Mitarbeitergespräche anstehen, sollte das Thema erörtert werden. Im Zweifel können die Angestellten auf die hohen Lohnabschlüsse im öffentlichen Dienst verweisen. Der Chef ist natürlich in keinster Weise verpflichtet, diese zu übernehmen. Eine gute Argumentationshilfe ist der neue Tarif im öffentlichen Dienst allemal.
Tarif öffentlicher Dienst: Warum diese Lohnerhöhungen?
Wie sind die Ergebnisse zu bewerten und warum gibt es teilweise bemerkenswerte Gehaltssteigerungen? Der wichtigste Grund: Staat und Privatwirtschaft kämpfen um die besten Fachkräfte. Das gilt beim aktuellen Tarif öffentlicher Dienst vor allem für die unteren und oberen Lohngruppen. In der Mitte gab es etwas schwächere Wachstumsraten.
Laut „Frankfurter Rundschau“ liegt die Spanne der Gehaltserhöhungen bei 6,7 bis 13,4 Prozent Lohnsteigerung, jeweils für den gesamten Zeitraum bis 2020. Laut Verdi-Gewerkschaftsboss Bsirske ist der Prozess „komplex“, weil die Interessen so unterschiedlich sind. Die kommunalen Arbeitgeberverbände wollen hochqualifizierte Fachkräfte für den öffentlichen Dienst gewinnen. Die Gewerkschaft vor allem schlecht bezahlten unteren Lohngruppen zu mehr Gehalt verhelfen.
Karriere im öffentlichen Dienst machen
Jede höhere Entgeltgruppe und jede höhere Stufe bedeuten mehr Geld für die Beschäftigen des öffentlichen Dienstes:
TVöD – Stufen
Entgeltgruppe / Stufe | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 |
E 1 | existiert nicht | bei Einstellung | nach 4 Jahren in Stufe 2 | nach 4 Jahren in Stufe 3 | nach 4 Jahren in Stufe 4 | nach 4 Jahren in Stufe 5 |
E 2 bis E 15 | bei Einstellung | nach 1 Jahr in Stufe 1 | nach 2 Jahren in Stufe 2 | nach 3 Jahren in Stufe 3 | nach 4 Jahren in Stufe 4 | nach 5 Jahren in Stufe 5 |
Wichtig: In den Entgeltgruppen 9 bis 15 entfällt die Stufe 6 für Beschäftigte des Bundes.
Tarif öffentlicher Dienst: Die Meinungen von Wirtschaftswissenschaftlern
Ökonomen wie Rudolf Hickel von der Uni Bremen begrüßen die Einigung: „Insgesamt ist ein positiver Kompromiss gefunden worden“. Die Ausgangslage sei nach massiven Warnstreiks schwierig gewesen und die Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes hat dem Rechnung getragen. Gerade die Einmalzahlung von 250 Euro für untere Lohngruppen begrüßt der Professor. Auch die Stärkung der Kaufkraft der Beschäftigten dürfte die Inlandsnachfrage ankurbeln.
Andere Wissenschaftler sind skeptischer. Professor Blum von der Universität Halle-Wittenberg sind die Gehaltserhöhungen zu niedrig, um qualifizierte Mitarbeiter zu einem Wechsel in den öffentlichen Dienst zu ermutigen. Ein Grund ist die niedrige Anzahl an Absolventen. Je weniger Mitarbeiter trotz hoher Nachfrage auf den Markt drängen, umso höher fallen später die Löhne aus.
Diese sind in der Privatwirtschaft dann oft deutlich höher als beim Staat. Marco Dadamo vom Verband Deutscher Ingenieure ist laut „MDR aktuell“ der Meinung, dass der Unterschied in den Gehältern zwischen öffentlichen und privaten Arbeitgebern immer noch zu hoch ist. Die Privatwirtschaft also immer noch deutlich attraktiver ist für hochqualifizierte Absolventen.
Häufiger Vorwurf an öffentliche Arbeitgeber: Mangelnde Flexibilität im Joballtag
Dabei ist Geld immer nur ein Kriterium. Viele Arbeitnehmer bemängeln die mangelnde Flexibilität bei staatlichen Behörden. Im Trend liegen gerade bei jungen Mitarbeitern unter 30 neue Formen von Arbeitszeitmodellen. Ein Arbeitsbeginn um 11 oder 12 Uhr und dann entsprechend länger arbeiten. Oder eine Ausweitung von Tätigkeiten im Home Office. Hier gehen private Arbeitgeber viel stärker auf die Bedürfnisse ein und sorgen für eine zeitgemäße Ausgestaltung des gewählten Berufes.
Die qualifizierten Beschäftigten sind klar im Vorteil. Zum Beispiel fehlen alleine im IT-Sektor jedes Jahr etwa 55.000 Mitarbeiter. Diese Lücke machen sich Mitarbeiter zunutze und verlangen einfach höhere Löhne, die der Staat ohne weiteres nicht einfach so bezahlen kann.
Die Unterschiede in einzelnen Branchen sind gewaltig: Da gehen laut „Computerwoche“ manche Experten für Computersicherheit mit 75.000 Euro brutto im Jahr nach Hause, während der Staatsangestellte manchmal laut Tariflohn kaum 55.000 Euro brutto in vergleichbaren Tätigkeiten verdient.
Daraus ergibt sich für den Professor Blum eine Art Teufelskreis, weil jeder in der Industrie tätige Mitarbeiter dem Staat fehlt und jeder Angestellte im öffentlichen Dienst auch in der freien Wirtschaft nützliche Dienste ausüben könnte. Schlussendlich hat der Staat aber insgesamt schlechtere Karten bei der Gewinnung neuer Arbeitskräfte.
Tarif öffentlicher Dienst: Welche Möglichkeiten hat der Staat, qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen?
Das Merkwürdige: Eigentlich wollen viele Studenten für den öffentlichen Dienst tätig werden. Nach Ergebnissen der „Studentenstudie 2018“ von Ernst&Young äußern 40 Prozent aller Teilnehmer, dass sie am liebsten für den Bund, die Kommunen oder Länder arbeiten würden.
Kleiner Haken: Es wird in der Studie nicht angegeben, aus welchen Fachbereichen die Studenten stammen. Sind es Germanisten oder die in der Wirtschaft besonders begehrten hochbezahlten IT-Profis, welche nach einer sicheren Stelle beim Staat suchen.
Der Deutsche Beamtenbund meint, dass vor allem die Computerprofis, Ärzte und Ingenieure etwa für öffentliche Bauprojekte fehlen. Dort mangelt es offenbar noch an der Bereitschaft, in den Staatsdienst einzutreten. Und genau solche Leute möchte man mit neuen attraktiveren Tariflöhnen dazu bewegen, beim Staat zu arbeiten.
Staat oder freie Wirtschaft? Tipps für junge Absolventen
Was sollten junge Absolventen tun? Auf die individuellen Bedürfnisse achten. Wo sehe ich als junger Mitarbeiter die langfristig besseren Perspektiven. Da geht es neben größtmöglicher Flexibilität natürlich auch ums Geld. Der Lohn kann in der freien Wirtschaft viel individueller ausgehandelt werden. Und die Differenzen beim Gehalt können gerade im IT-Bereich wie oben angemerkt beträchtlich sein.
Freilich: In anderen Branchen sind die Unterschiede nicht sehr groß. Das könnten sich weder Staat noch Privatwirtschaft leisten und wenig qualifizierte Mitarbeiter zu finden, ist auch kein großes Problem. Vorteil beim Staatsdienst ist natürlich die größere soziale Sicherheit bis hin zur Unkündbarkeit in bestimmten Fällen. Bei privaten Arbeitgebern kann es auch bei langjähriger Zugehörigkeit zu einem Unternehmen schnell zu einer Kündigung kommen, zum Beispiel wegen fehlender Auftragslage.
Der öffentliche Dienst bietet noch einige andere Vorteile. Dazu zählt eine weitgehende Transparenz bei den Löhnen. Jeder Mitarbeiter weiß im Prinzip, was der Kollege ungefähr verdient. Jedenfalls solange die Entgeltgruppen und die Gehaltsstufen bekannt sind.
Übrigens: Je länger ein Mitarbeiter beim Staat beschäftigt ist, steigt er Gehaltsstufen hinauf und bekommt mehr Geld. Damit vermeidet man Neiddebatten, wie sie in der freien Wirtschaft des Öfteren vorkommen, aufgrund der Unkenntnis, was denn der Kollege vom Nachbartisch so verdient.
Oft führt gerade diese Unkenntnis der genauen Löhne zu Debatten über diesen oder jenen Mitarbeiter, welches das Betriebsklima unter Umständen vergiften kann. Die fehlende Geheimnistuerei ist ein wichtiges Plus für den öffentlichen Dienst. Die neuen Tarife sind schnell zu erkennen (siehe erste Tabelle oben).
Tarif öffentlicher Dienst: Die Entgeltgruppen von E1 bis E15Ü
Und weil sie schon erwähnt wurden, hier eine Auflistung der verschiedenen Entgeltgruppen. Es gibt sie von der kleinsten Gruppe E1 bis zum höchsten Tarif E15Ü bei vertraglich individuell ausgehandelten Sonderregelungen. Wer wie eingestuft wird, hängt in der Regel von der Qualifikation und der Erfahrung ab.
- An- und ungelernte Arbeitskräfte wie Küchenhelfer oder Boten sind in der Entgeltgruppe 1 bis 4 eingestuft
- Pflegekräfte oder Handwerker mit mindestens zweijähriger Ausbildung sind in der mittleren Gruppe 5 bis 8 vertreten
- Grundschullehrer oder Ingenieure erhalten die Einstufung in die Tarifgruppe 9 bis 12
- Hochschulabsolventen, wissenschaftliche Mitarbeiter oder Gymnasiallehrer arbeiten in der höchsten Entgeltgruppe 13 bis 15
Ausblick auf zukünftige Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen
Die Suche nach dem besten Mitarbeiter bleibt auch in den nächsten Jahren Dauerbrenner bei den Entscheidern im Öffentlichen Dienst. Der Konkurrenzkampf mit der privaten Wirtschaft dürfte sich bei einem anhaltenden Boom am Arbeitsmarkt noch verschärfen, weil in einem solchen Fall erneute Gehaltserhöhungen für viele Mitarbeiter im Privatsektor realistisch sind. Da muss und wird der Staat versuchen, mitzuhalten. Um in der Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es wichtig, stets nach fähigen Angestellten Ausschau zu halten.
Es geht dabei nicht nur um die sehr gut qualifizierten Mitarbeiter. Jeder Kollege, auch die unteren Lohngruppen, leistet seine Arbeit und trägt mit zum Gelingen einer funktionierenden Verwaltung bei. Und auch für diese oft wenig qualifizierten Arbeitskräfte gibt es eine Nachfrage. Natürlich nicht verbunden mit hohen Gehältern, aber mit der Sicherheit für regelmäßigen Lohnerwerb.
Inwieweit es der Staat schafft, neue Mitarbeiter zu gewinnen, hängt dann immer auch von der Bereitschaft ab, bei den Löhnen noch einmal nach oben zu gehen. Da gibt es naturgemäß einige Hemmungen bei Bund und Kommunen. Schließlich sind diese Institutionen die Arbeitgeber für etwa 2,5 Millionen Beschäftigte und zahlen deren Gehälter. Der jetzige Abschluss hat eine Laufzeit von 30 Monaten. Vorher dürften harte Auseinandersetzungen stattfinden, bei denen jede Seite versuchen wird, das Maximum aus ihren ersten Forderungen herauszuholen.
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